Opfer der NS-Euthanasie

Leopoldine Zankl

geboren am 06.09.1891 in Weidenburg
Heimatgemeinde: Innsbruck
am 20.03.1941 deportiert nach Hartheim

Leopoldine Kreuzberger wurde am 6. September 1891 in Weidenburg im Kärntner Gailtal als Tochter von Johann und Anna Kreuzberger geboren. Sie hatte sieben Geschwister. Die Eltern bewirtschafteten einen Bauernhof. Leopoldine Kreuzberger besuchte im nahe gelegenen St. Daniel acht Jahre lang die Volksschule. Nach eigenen Aussagen hat sie „immer gut und gerne gelernt“. Nach Beendigung der Schule arbeitete sie am elterlichen Bauernhof mit und wechselte anschließend in den Betrieb eines Wirtshauses in der näheren Umgebung, um als Hausmädchen zu arbeiten. Als sie auf einem Bauernhof in Würmlach als Hausgehilfin tätig war, lernte sie ihren späteren Ehemann Martin Zankl kennen. Die beiden heirateten nach Ende des Ersten Weltkrieges, sie hatten sechs Kinder. Anfang der 1930er Jahre zeigte sich bei Leopoldine Zankl eine psychische Erkrankung. Ihr erster Aufenthalt in der Heil- und Pflegeanstalt Hall in Tirol im Herbst 1936 währte nur drei Wochen. Die Kinder drängten auf Entlassung und Martin Zankl nahm seine Ehefrau in häusliche Pflege. Nur zwei Monate später, am 11. Jänner 1937, gelangte sie erneut in die Haller Anstalt. Hier beschäftigte sie sich ab und an mit Näharbeiten. Sie bekam häufig Besuch, besonders von ihren Kindern. Am 20. März 1941 wurde sie mit 91 weiteren PatientInnen in die Tötungsanstalt Hartheim transportiert. Dort wurde sie ermordet.

Mehr lesen „Meine Oma ist nicht an der Schizophrenie gestorben“, betonte ihr Enkel Karl Nemec 2004, als er die Spuren seiner Großmutter verfolgte. Er war selbst Arzt und machte darauf aufmerksam, dass die Krankheit zwar der Grund für ihren stationären Aufenthalt in der Anstalt dargestellt hatte, der Tod jedoch gewaltsam von den nationalsozialistischen Machthabern und deren Helfern herbeigeführt worden war.
Die Großmutter von Karl Nemec, Leopoldine Zankl geborene Kreuzberger, verbrachte ihre Kindheit und Jugend im Gailtal in Kärnten. Ihr Geburtsort Weidenburg gehört heute zur Gemeinde Kötschach-Mauthen im Bezirk Hermagor. Ihren Ehemann Martin Zankl lernte die Bauerntochter, die als Hausgehilfin tätig war, ebenfalls in der Gegend kennen. Mit ihm übersiedelte sie nach Tirol. Die Familie wohnte schließlich im Innsbrucker Stadtteil Wilten.
Martin Zankl war bei der Bahn beschäftigt. Die Familie wuchs langsam. Leopoldine Zankl gebar ihr erstes Kind, das jedoch mit 22 Jahren starb, noch vor dem Ersten Weltkrieg. Ihre weiteren fünf Kinder kamen zwischen 1919 und 1935 zur Welt. Als ihre psychische Erkrankung zum ersten Aufenthalt in der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik in Innsbruck und anschließend in der Heil- und Pflegeanstalt Hall führte, war ihr Jüngster erst eineinhalb Jahre alt. Der Aufenthalt blieb kurz, Martin Zankl nahm seine Ehefrau Anfang November 1936 „gegen einfachen Revers“ wieder mit nach Hause. Doch die Situation dürfte schwierig und konfliktreich gewesen sein, nicht nur innerfamiliär, sondern auch mit den Nachbarn und Nachbarinnen. Deshalb wurde Leopoldine Zankl bereits nach dem Jahreswechsel 1936/37 auf behördliche Anweisung zunächst wieder in die Psychiatrisch-Neurologische Klinik in Innsbruck und anschließend in die Haller Anstalt gebracht. Hier verrichtete sie gelegentlich Näharbeiten. Vor allem die jüngeren Kinder besuchten sie bis zuletzt nahezu alle 14 Tage. Nicht immer konnte sich Leopoldine Zankl über die Besuche freuen.
Als sie am 20. März 1941 mit dem zweiten Transport von Hall nach Hartheim deportiert wurde, war Leopoldine Zankl noch keine 50 Jahre alt. Sie hatte mehr als vier Jahre durchgehend in der Haller Anstalt verbracht. Die Heil- und Pflegeanstalt Hall meldete sie eine Woche nach ihrer Deportation beim Städtischen Meldeamt in Hall ab. Noch im Dezember 1941 – also ein dreiviertel Jahr nach ihrer Ermordung – erging ein Schreiben der Haller Anstalt an den Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg, Gaufürsorgeverband Innsbruck, in dem auf den finanziellen Beitrag des Ehemanns an den Anstaltskosten aufmerksam gemacht wurde: „Für Z a n k l Leopoldine erstattete den Parteien-Pflegekostenbeitrag Zankl Martin (...), und zwar für die Zeit vom 1.10.1938 – 30.9.1939 RM (Reichsmark) 439,71.“ Das bedeutete monatliche Kosten von knapp 37 RM. Der Anstaltsaufenthalt von Leopoldine Zankl war für die Familie nicht zuletzt auch eine finanzielle Belastung gewesen. Denn bereits seit Mitte März 1937, nachdem die Österreichische Bundesbahnen Krankenkasse ihre Zahlungspflicht eingestellt hatte, musste der Familienvater einen Teil der Kosten selbst tragen.
Martin Zankl ließ sich im März 1940, also ein Jahr vor der Ermordung Leopoldine Zankls, scheiden und heiratete kurze Zeit später wieder. Er starb aber schon 1942. Die jüngeren Kinder wuchsen bei der Stiefmutter auf.
Karl Nemec begab sich zu Beginn der 1980er Jahre auf die Suche nach den Spuren seiner Großmutter. Als Arzt setzte er sich auch kritisch mit der Psychiatrie auseinander. Unter anderem war er Mitbegründer der „Arbeitsgemeinschaft für soziale Psychiatrie Innsbruck“, die eine Nähe zur „Kritischen Medizin“ aufwies, und kritisierte die NS-Vergangenheit von Psychiatern wie Heinrich Gross, der in die NS-Euthanasieverbrechen verwickelt gewesen war und seine Karriere nach Ende der NS-Herrschaft ungebrochen fortsetzen konnte. Die Causa Gross sollte schließlich der Anlassfall für die Aufarbeitung der NS-Euthanasie in Österreich sein. Als Karl Nemec Anfang der 1980er Jahre eine Stelle als Sekundararzt im Landesnervenkrankenhaus Hall (vormals Heil- und Pflegeanstalt Hall) ausübte, besorgte er sich die anstaltseigenen Akten zu Leopoldine Zankl. Innerhalb der Familie war die Geschichte seiner Großmutter jedoch ein Tabu. Nach der Jahrtausendwende setzte Karl Nemec seine Beschäftigung mit der Familiengeschichte fort. Er beteiligte sich an der Gruppe „Spurensuche“, die aus einer Veranstaltung in Hall zur Problematik der NS-Euthanasie erwachsen war. Daraus folgend involvierte er sich in das Kunstprojekt „Temporäres Denkmal“. Schließlich präsentierte er die Geschichte seiner Großmutter im April 2005 bei einer von Pax Christi organisierten Veranstaltung, wo der Deportierten aus der Heil- und Pflegeanstalt Hall gedacht wurde. Eines der Ziele für die Spurensuche von Karl Nemec war, den guten Namen seiner Großmutter wiederherzustellen.


Karl Nemec über seine Großmutter im Gespräch mit Andrea Sommerauer 2012


Leopoldine Zankl (Quelle: Hanna Peluso-Nemec)



Quellen:
Historisches Archiv Landeskrankenhaus Hall, Krankenakt und Verwaltungsakt
Interview Andrea Sommerauer mit Karl Nemec, geführt am 14.12.2012
Tiroler Landesarchiv, Matriken Tirol Online, Traubuch der Pfarre Innsbruck-St. Jakob
E-Mail-Verkehr zwischen Hanna Peluso-Nemec und Andrea Sommerauer

Literatur:
Andrea Sommerauer, Im Gedächtnis verankern. Über den Umgang mit der NS-Euthanasie in Tirol seit 1945 mit Verweisen auf Vorarlberg, in: Stefan Lechner / Andrea Sommerauer / Friedrich Stepanek (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Hall in Tirol im Nationalsozialismus und zu ihrer Rezeption (Veröffentlichung der Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945, Bd. 3), S. 255-352, hier: S. 336-337.
Andrea Sommerauer, Leopoldine Zankl. Eine Spurensuche ihres Enkels Karl Nemec, in: Andrea Sommerauer / Franz Wassermann, Temporäres Denkmal. Prozesse der Erinnerung, Innsbruck-Wien-Bozen 2009², S. 331.